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© Charité | Wiebke Peitz

Aktuelles aus den Centren

08.01.2014

Ware Gesundheit - Das Ende der klassischen Medizin

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3. aktualisierte Auflage ist ab Anfang Februar 2014 erhältlich

Dieses Buch ist ab Anfang Februar im Handel erhältlich.

Eine persönliche Vorbemerkung zu der 3. Auflage

Dieses Buch entstand auf Grund von zwei Anregungen. Fast vier Jahrzehnte lang habe ich mich mit dem Vergleich der Entwicklung heilkundlicher Ideen und entsprechender gesellschaftlicher Strukturen in Europa und China befasst. Auffallend ist die unterschiedliche gesellschaftliche Wertschätzung, die Ärzte in diesen beiden Zivilisationen erfuhren. Der Hochachtung der Ärzteschaft in der europäischen Kultur steht das andauernde Misstrauen gegenüber berufsmäßig praktizierenden Ärzten in China gegenüber. Bei genauerem Hinsehen ist allerdings erkennbar, dass sich dieser Unterschied erst im frühen 19. Jahrhundert herausgebildet hat – zuvor war das Ansehen praktizierender Ärzte in China und Europa offenbar vergleichbar ambivalent. Es gab eine kleine Zahl hochgeachteter und über Jahrhunderte gerühmter Praktiker und medizinischer Autoren; aber zugleich ergoss sich viel Spott und Hohn über diejenigen, deren Fähigkeiten und Motive angezweifelt wurden, da sie offenbar oder vermeintlich mit den an die Medizin gerichteten Ansprüchen nicht in Übereinstimmung waren.
In Europa nun ist eine Entwicklung nicht zu übersehen, die der Ärzteschaft eine zunehmende Beschränkung ihrer strukturellen Bedeutung und ihres gesellschaftlichen Images auferlegt - ungeachtet einer seit langem andauernden, überzeugenden Ausweitung ihrer diagnostischen und klinischen Fähigkeiten in operativen und nicht-operativen Fächern. Die Verdrängung der Ärzteschaft in unserem Gesundheitssystem aus den Zentren der politschen und fachlichen Entscheidungen, wer mit welchen Mitteln in welchem Umfang medizinisch zu versorgen ist, ist ebenso offensichtlich, wie die erfolgreichen Bemühungen weltanschaulich-politischer Gruppierungen und wirtschaftlich konkurierender Institutionen, allen voran die Gesetzlichen Krankenkassen, den guten Ruf der Ärzteschaft zu beschädigen und das Vertrauen in diese Berufsgruppe zu erschüttern. Systematisch für diese beiden Strömungen ist die obligatorische Frage eines Soziologen: "wozu brauchen Ärzte Vertrauen?" (s.S.XX). Diese Entwicklung in Europa und damit die Wiederannäherung des europäischen Arztbildes an die chinesische Situation aufzuzeigen, bildete eine Anregung für das hier vorgelegte Buch.
Aber dann kam noch ein zweiter, unerwarteter Anstoß hinzu. Vor einigen Jahren gingen vor allem junge Ärztinnen und Ärzte auf die Straßen, um öffentlich gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen und aus ihrer Sicht unzureichende Entlohnung zu protestieren. Der Zorn der Unzufriedenen richtete sich vor allem gegen eine Person, Ulla Schmidt, seinerzeit Bundesministerin für Gesundheit. Die Naivität von Universitätsabsolventen, eine Politikerin für den tiefgreifenden Wandel im Gesundheitswesen verantwortlich zu machen, überraschte mich. Offenbar war es den Protestierenden verborgen geblieben, dass die schleichende Marginalisierung der Ärzteschaft keineswegs den bösen Machenschaften oder falschen Entscheidungen einzelner Gesundheitspolitiker anzulasten ist. Hier sind makrogesellschaftliche, makroökonomische Dynamiken am Werk, die ihre Wirkung entfalten, gleichgültig ob eine SPD-Politikerin Schmidt oder Wirtschaftsliberale wie Philipp Rösler oder Daniel Bahr an der Spitze des Gesundheitsministeriums stehen.
Ware Gesundheit. Das Ende der Klassischen Medizin ist der Versuch, sowohl die längerfristige als auch die aktuelle Dynamik unseres Gesundheitswesens und insbesondere die Verdrängung – ich gebrauche auch den Begriff "Entmündigung" – der Ärzteschaft verständlich zu machen. Die hier nun verfügbare dritte, überarbeitete Fassung hat selbst wieder eine eigene Geschichte. Während die erste Fassung sich auf die Darstellung und Analyse der historischen Fakten konzentrierte und die zweite Fassung einige der zahlreichen Anregungen und Detailinformationen, die mir von Lesern zur Verfügung gestellt worden waren, aufnahm, enthält die dritte Fassung zusätzlich einen Ausblick auf die Zukunft.
Die Marginalisierung der Ärzteschaft ist eng verknüpft mit der Kommerzialisierung des gesellschaftlichen Umgangs mit Gesundheit und Krankheit. Ich habe nicht wenige Zuschriften erhalten, in denen mir von Ärztinnen und Ärzten, aber auch von weiteren Mitwirkenden im Gesundheitswesen die Frage gestellt wurde: Was kann ich als Einzelner tun, um nicht als Dienstleister in einer Gesundheitswirtschaft für die Renditeziele derjenigen Investoren und Entscheidungsträger mißbraucht zu werden, denen die medizinisch-fachliche und ethische Zielsetzung der Medizin als Heilkunde nur zweitrangig hinter einer kommerziellen Zielsetzung der Medizin als Wirtschaftszweig anzusetzen ist.
Die Einsicht einer Betroffenen, in einer Klinik als "Renditeärztin" eingesetzt zu sein, die so lange fürstlich entlohnt wird, wie sie ihren Patientinnen entgegen heutigen medizinischen Kenntnissen gewinnbringende Maßnahmen verordnet, ist symptomatisch für diese Entwicklung ebenso wie die neuerliche Umwandlung des erst recht jungen Begriffs einer "Gesundheitswirtschaft" in den einer "Gesundheitsindustrie".
Eine Patentlösung kann auch dieses Buch nicht bieten. Zu unterschiedlich sind die durchaus legitimen Interessen nicht nur der kommerziell agierenden Investoren, kaufmännischen DirektorInnen, Gesetzlichen Krankenkassen, pharmazeutischen und medizinisch-technischen Industriezweige, sowie auch von Sozialideologen als Gegenspieler einer klassischen Medizin, in der das Wohl der Patienten zumindest theoretisch und zumeist wohl auch in der Realität das Maß des therapeutischen Handelns bildete. Es ist auch die Ärzteschaft selbst, die gegenwärtig keine Interessengemeinschaft mehr bildet und somit nicht geschlossen auf die Herausforderung reagieren kann.
Somit mögen die Ausführung in den folgenden Kapiteln vor allem dazu dienen, die zwei Ebenen aufzuzeigen, auf denen der Wandel stattfindet. Das ist zum einen die Makro-Ebene einer Entwicklung zu einem Finanz-Feudalismus, der die bisherigen Nationalstaaten in Europa zu grundlegenden Strukturveränderungen zwingt, denen sich nun auch das Gesundheitswesen nicht mehr entziehen kann. Da ist zum anderen die Mikro-Ebene der überschaubaren Interessengegensätze aller an der "Gesundheitswirtschaft" Beteiligten. Erst wenn beide Ebenen deutlich erkennbar und die einzelnen Interessen wohl definiert sind, lassen sich Strategien entwickeln, die Entwicklung abzumildern oder gar in der Richtungsnahme zu beeinflussen. Die bisherigen Reaktionen auf die beiden früheren Ausgaben dieses Buches geben dieser seiner Zielsetzung ihren Sinn.


Berlin, 2013                      Paul U. Unschuld

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Prof. Dr. Paul U. Unschuld



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